Bürgerbewegungen

Bundespräsident Joachim Gauck hat in seiner Eröffnungsrede im Deutschen Bundestag am 23. März 2012 u. a. Bürgerbewegungen und -initiativen ausdrücklich gewürdigt:

"Wer als Bürger die Chance auf Engagement hat und ohne Not auf sie verzichtet, der vergibt eine der großen Chancen: Verantwortung zu übernehmen" (Hinterländer Anzeiger, 24. März 2012)

außerdem

"Neben den Parteien und anderen  demokratischen Institutionen
existiert aber eine zweite Stütze unserer Demokratie: die aktive
Bürgergesellschaft. Bürgerinitiativen, Ad-hoc-Bewegungen, auch Teile
der digitalen Netzgemeinde ergänzen mit ihrem Engagement, aber
auch mit ihrem Protest die parlamentarische Demokratie und gleichen
Mängel aus." (siehe: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2012/03/120323-Vereidigung-des-Bundespraesidenten.html)

In der Vergangenheit hat die Bürgerinitiative oftmals das Gegenteil dessen erfahren, was der Bundespräsident hier fordert. Die erlebte politische Realität sah anders aus:

  • Die Kritiker sprachen den Vertretern der Bürgerinitiative mehrfach die demokratische Legitimität ab, sprachen von undemokratischen Verhaltensweisen, stellen deren Vertreter als wenig sachkompetent heraus.
  • Die vielfach zitierte "Mitnahme der Bürger bei WEA-Standorten" wurde gänzlich negiert.
  • Wahrnehmungsstörungen und Falschaussagen lokaler Politiker müssen im Nachhinein von der Bürgerinitiative korrigiert werden.

Politiker erheben i. d. R. den Alleinvertretungsanspruch für Projekte wie Windkraftenergie, Bürgerinitiativen stören da nur. Ein Einklagen solcher Projekte ist den Bürgerinitiativen noch nicht einmal möglich, wenn sie denn tatsächlich von solchen Vorhaben erfahren sollten. Eine Klagemöglichkeit steht nur anerkannten Verbänden zu, die ebenso übergeordnete Interessen vertreten wie z. B. dem NABU. Durch mehrere glückliche "Fügungen" hat es jedoch die Bürgerinitiative geschafft, sogar in der relativ kurz zur Verfügung stehenden Zeit, den nach Recht und Gesetz arbeitenden Regierungspräsident Gießen über den NABU und dessen Klage vor dem VGH Kassel zu stoppen, Rodungsarbeiten durchzuführen, bevor die Artenvielfalt auf dem Hilsberg einen KO-Schlag erfährt.

In diesen Zusammenhang passt ein Interview der Marburger Politologin Ursula Birsl (Oberhess. Presse, 31. März 2012) mit dem Titel

"Demokratie ist beste Staatsform, die wir haben"

...

Birsl:" Nein, wir leben nicht in einer Postdemokratie. Es gibt allerdings einige postdemokratische Tendenzen zu beobachten. Dazu gehört beispielsweise, dass immer mehr politische Entscheidungen "backstage", also hinter den Kulissen und nicht in aller Öffentlichkeit getroffen werden. Das ist für die Medien und die Wähler immer weniger kontrollierbar."

...

Birsl: "Ich glaube nicht, dass die liberale Demokratie in Deutschland gefährdet ist. Aber man muss jedoch wachsam sein, weil die Verfallsszenarien sehr subtil ablaufen. Und die dahinterstehenden Prozesse sind den politischen Akteuren nicht immer so bewusst. Das versteckt sich gerne hinter solchen Vokabeln wie "Sachzwänge" oder "alternativlos". ...

Man könnte meinen, Frau Birsl spräche von unseren Problemen.

Demgegenüber kann man die Äußerungen der Hess. Umweltministerin Lucia Puttrich und deren Abhängige, die "Bürger bei den Entscheidungen mitnehmen zu wollen" nur als einzigartige Farce betrachten.